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Dienstag, 26. August 2008
Einen Querschnittsgelähmten sollte man nicht als Krüppel bezeichnen und einen Alkoholiker nicht als Schnapsdrossel
medizynicus, 13:45h
Das ist richtig und ich bitte diesbezüglich um Entschuldigung.
Trotzdem sind manche - nicht alle - Alkoholiker eher unbeliebte Patienten. Und ich will auch sagen, warum.
Nehmen wir das Beispiel der schon in meinem vorherigen Beitrag erwähnten Patientin - nennen wir sie nicht Frau Schnapsdrossel, nennen wir sie einfach Frau Müller.
Frau Müller ist Alkoholikerin.
Sie ist etwa Mitte vierzig, gelernte Bürokauffrau, verheiratet und Mutter zweier Kinder (zwölf und vierzehn Jahre alt). Ihr Mann ist Automechaniker, trinkt zwar ab und zu sein Bier, ist aber kein Alkoholiker.
Wenn Frau Müller betrunken ist, ist sie unerträglich, sagt ihr Mann. Fünfzehn Jahre lang hat er das mitgemacht, hat ihr erfolglos geraten "doch mal zum Arzt zu gehen" oder "eine Therapie zu machen", aber Frau Müller wollte nicht.
Jetzt hat Herr Müller die Schnauze voll.
Er hat seine Frau verlassen. Und die Kinder sind bei ihm.
Frau Müller ist völlig aufgelöst. Jetzt endlich geht sie zum Arzt, natürlich hat sie vorher noch eine Flasche Sekt geköpft.
Der Hausarzt empfiehlt ihr eine Entwöhnungsbehandlung. Er muss ziemlich lange herumtelefonieren bevor er einen Platz für sie findet (der Bedarf ist weit höher als das Angebot). Zuvor soll Frau Müller aber zur Entgiftung in ein Akutkrankenhaus, und das sind wir, das Kreiskrankenhaus Bad Dingenskirchen.
Der Hausarzt ruft also - Dienstag vormittag, gegen elf Uhr - bei uns an und weist Frau Müller zur Entgiftung ein.
Wir warten den ganzen Tag lang vergeblich.
Mittwochs abends um elf taucht Frau Müller dann auf - strunzsternhalgelvoll.
Ich habe Dienst und erkläre ihr die Regeln: Sie bekommt von uns Medikamente und darf auf keinen Fall Alkohol zu sich nehmen. Die Dosierung der Medikamente wird allmählich reduziert, und wenn die Medikamente abgesetzt sind, kann Frau Müller von uns entlassen und in die Fachklinik zur Alkoholentwöhnung eingewiesen werden.
Dass sie sich während des Aufenthaltes halbwegs anständig benimmt - also nicht herumbrüllt und vor allem niemanden tätlich angreift - sollte selbstverständlich sein.
Gegenüber von unserem Krankenhaus ist ein Kiosk, da gibt es Schnaps und Bier zu kaufen. Hundert Meter weiter ist ein Supermarkt und um die Ecke eine Tankstelle, die rund um die Uhr geöffnet ist. Möglichkeiten, sich mit Alkohol zu versorgen gibt es also genug. Wir bitten Frau Müller daher, während ihres Aufenthaltes das krankenhaus nicht zu verlassen und sich auch von Besuchern keinen Alkohol mitbringen zu lassen.
Also gut.
Was passiert?
Am nächsten Morgen um zehn Uhr ist Frau Müller verschwunden.
Abends um sieben ist sie wieder da, strunzsternhagelvoll. Nachdem der Kollege ihr eine ordentliche Gardinenpredigt gehalten hat, bittet und bettelt sie darum, doch wieder aufgenommen zu werden. Wir wollen ja mal nicht so sein und geben nach.
Ich will mich kurz fassen:
Das Spiel wiederholt sich mehrere Male: Frau Müller kommt und geht wann sie will, mal weint sie, bittet um eine letzte Chance, mal brüllt sie herum, mal weist der Hausarzt sie ein, mal ein anderer Hausarzt, mal der Notdienst, und regelmässig verschwindet sie nach ein oder zwei Tagen wieder - meistens nachdem irgendwer sie ermahnt hat, dass sie sich weder von Freunden mit Alkohol versorgen lassen noch irgendwelche Ausflüge machen soll. Aber wir sind ja schliesslich kein Gefängnis.
Mal findet eine Schwester eine leere Flasche Wein im Mülleimer, mal ist es ein Flachmann, diskret auf dem Balkon zwischen den Blumenkübeln versteckt.
Irgendwann wird es mir zu bunt.
Bei der Visite ermahne ich Frau Müller ein letztes Mal. Ich stelle ihr frei, das Krankenhaus zu verlassen, wenn sie möchte, oder zu bleiben. Aber wenn sie bleiben möchte, muss sie sich an unsere Regeln halten.
Ich sage ihr auch, dass ich gerne ab und zu den Blutalkoholspiegel bestimmen möchte. Ich tu dies einmal jetzt auf der Stelle - und der ist zwar nicht null, aber sehr niedrig.
Am Nachmittag nehme ich ihr - nachdem sie von einer verlängerten Rauchpause vor dem Hintereingang wieder zurückgekommen ist - noch einmal Blut ab (mit ihrem Einverständnis natürlich).
Der Alkoholspiegel ist eins komma sieben Promille.
Ich bitte sie um eine Erklärung. Sie zuckt nur mit den Schultern.
Ich frage sie, ob sie Alkohol getrunken hat.
Sie verneint.
Daraufhin bitte ich sie, das Krankenhaus innerhalb einer Stunde zu verlassen und informiere meinen Chef. Wir einigen uns darauf, dass Frau Müller zukünftig nicht mehr zum Zwecke der Alkohol-Entgiftung stationär aufgenommen wird.
Medizynicus ist umgezogen! Hier gehts zum Neuen Blog.
Trotzdem sind manche - nicht alle - Alkoholiker eher unbeliebte Patienten. Und ich will auch sagen, warum.
Nehmen wir das Beispiel der schon in meinem vorherigen Beitrag erwähnten Patientin - nennen wir sie nicht Frau Schnapsdrossel, nennen wir sie einfach Frau Müller.
Frau Müller ist Alkoholikerin.
Sie ist etwa Mitte vierzig, gelernte Bürokauffrau, verheiratet und Mutter zweier Kinder (zwölf und vierzehn Jahre alt). Ihr Mann ist Automechaniker, trinkt zwar ab und zu sein Bier, ist aber kein Alkoholiker.
Wenn Frau Müller betrunken ist, ist sie unerträglich, sagt ihr Mann. Fünfzehn Jahre lang hat er das mitgemacht, hat ihr erfolglos geraten "doch mal zum Arzt zu gehen" oder "eine Therapie zu machen", aber Frau Müller wollte nicht.
Jetzt hat Herr Müller die Schnauze voll.
Er hat seine Frau verlassen. Und die Kinder sind bei ihm.
Frau Müller ist völlig aufgelöst. Jetzt endlich geht sie zum Arzt, natürlich hat sie vorher noch eine Flasche Sekt geköpft.
Der Hausarzt empfiehlt ihr eine Entwöhnungsbehandlung. Er muss ziemlich lange herumtelefonieren bevor er einen Platz für sie findet (der Bedarf ist weit höher als das Angebot). Zuvor soll Frau Müller aber zur Entgiftung in ein Akutkrankenhaus, und das sind wir, das Kreiskrankenhaus Bad Dingenskirchen.
Der Hausarzt ruft also - Dienstag vormittag, gegen elf Uhr - bei uns an und weist Frau Müller zur Entgiftung ein.
Wir warten den ganzen Tag lang vergeblich.
Mittwochs abends um elf taucht Frau Müller dann auf - strunzsternhalgelvoll.
Ich habe Dienst und erkläre ihr die Regeln: Sie bekommt von uns Medikamente und darf auf keinen Fall Alkohol zu sich nehmen. Die Dosierung der Medikamente wird allmählich reduziert, und wenn die Medikamente abgesetzt sind, kann Frau Müller von uns entlassen und in die Fachklinik zur Alkoholentwöhnung eingewiesen werden.
Dass sie sich während des Aufenthaltes halbwegs anständig benimmt - also nicht herumbrüllt und vor allem niemanden tätlich angreift - sollte selbstverständlich sein.
Gegenüber von unserem Krankenhaus ist ein Kiosk, da gibt es Schnaps und Bier zu kaufen. Hundert Meter weiter ist ein Supermarkt und um die Ecke eine Tankstelle, die rund um die Uhr geöffnet ist. Möglichkeiten, sich mit Alkohol zu versorgen gibt es also genug. Wir bitten Frau Müller daher, während ihres Aufenthaltes das krankenhaus nicht zu verlassen und sich auch von Besuchern keinen Alkohol mitbringen zu lassen.
Also gut.
Was passiert?
Am nächsten Morgen um zehn Uhr ist Frau Müller verschwunden.
Abends um sieben ist sie wieder da, strunzsternhagelvoll. Nachdem der Kollege ihr eine ordentliche Gardinenpredigt gehalten hat, bittet und bettelt sie darum, doch wieder aufgenommen zu werden. Wir wollen ja mal nicht so sein und geben nach.
Ich will mich kurz fassen:
Das Spiel wiederholt sich mehrere Male: Frau Müller kommt und geht wann sie will, mal weint sie, bittet um eine letzte Chance, mal brüllt sie herum, mal weist der Hausarzt sie ein, mal ein anderer Hausarzt, mal der Notdienst, und regelmässig verschwindet sie nach ein oder zwei Tagen wieder - meistens nachdem irgendwer sie ermahnt hat, dass sie sich weder von Freunden mit Alkohol versorgen lassen noch irgendwelche Ausflüge machen soll. Aber wir sind ja schliesslich kein Gefängnis.
Mal findet eine Schwester eine leere Flasche Wein im Mülleimer, mal ist es ein Flachmann, diskret auf dem Balkon zwischen den Blumenkübeln versteckt.
Irgendwann wird es mir zu bunt.
Bei der Visite ermahne ich Frau Müller ein letztes Mal. Ich stelle ihr frei, das Krankenhaus zu verlassen, wenn sie möchte, oder zu bleiben. Aber wenn sie bleiben möchte, muss sie sich an unsere Regeln halten.
Ich sage ihr auch, dass ich gerne ab und zu den Blutalkoholspiegel bestimmen möchte. Ich tu dies einmal jetzt auf der Stelle - und der ist zwar nicht null, aber sehr niedrig.
Am Nachmittag nehme ich ihr - nachdem sie von einer verlängerten Rauchpause vor dem Hintereingang wieder zurückgekommen ist - noch einmal Blut ab (mit ihrem Einverständnis natürlich).
Der Alkoholspiegel ist eins komma sieben Promille.
Ich bitte sie um eine Erklärung. Sie zuckt nur mit den Schultern.
Ich frage sie, ob sie Alkohol getrunken hat.
Sie verneint.
Daraufhin bitte ich sie, das Krankenhaus innerhalb einer Stunde zu verlassen und informiere meinen Chef. Wir einigen uns darauf, dass Frau Müller zukünftig nicht mehr zum Zwecke der Alkohol-Entgiftung stationär aufgenommen wird.
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