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Mittwoch, 15. April 2009
Beruf: Patient. Oder: Ein Leben für die Krankheit!
medizynicus, 12:50h
Die Frau Gräfin von Ödelskirchen-Stinkenbrunn geht heute nach Hause.
Jetzt sitze ich gerade vor dem Entlassungsbrief und habe keine Ahnung, was ich da reinschreiben soll.
Fast drei Wochen war sie bei uns, und ich weiss noch immer nicht, was sie eigentlich hat. Das weiss sie selbst auch nicht: Seit Jahren, Jahrzehnten klagt sie über Bauchschmerzen, Blähungen und so weiter, außerdem Atemnot und Rückenschmerzen. Natürlich war sie schon bei tausend Ärzten und keiner hat ihr helfen können.
Vor drei Wochen hatte sie einen Zusammenbruch - nein, keinen Nervenzusammenbruch, sie ist so richtig dramatisch mit Notarzt eingeliefert worden, ist gestürzt und war angeblich fünf Minuten bewußtlos.
Wir haben diagnostisch nicht viel gefunden.
Eigentlich gar nichts.
Aber immer, wenn sie zur Entlassung anstand, war wieder etwas Neues: Mal Schwindel, Übelkeit, oder Erbrechen, mal erneute Bauchschmerzen, dann eine Erkältung, die natürlich keine Erkältung war sondern eine Lungenentzündung (nach ihrer Ansicht) und weil wir schließlich der Krankenkasse gegenüber ihren Aufenthalt irgendwie begründen müssen taucht die Lungenentzündung auch als solche in der Diagnoseliste auf. Der Radiologe hatte uns den Gefallen getan, das Röntgenbild entsprechend zu befunden.
Natürlich haben wir auch ein nervenärztliches Konsil veranlasst. Aber die Frau Gräfin ist ja nicht blöd und hat die Sache natürlich durchschaut.
Also hat der Psychiater sich weder getraut "Somatisierungsstörung" noch "Persönlichkeitsstörung" zu diagnostizieren.
Soll ich mich trauen, die Sachen beim Namen zu nennen?
Mit Sicherheit wird sie den Brief lesen!
Und dann gibt es lange Diskussionen...
Also reden wir lieber von "funktionellen" Magen-Darm-Beschwerden, das klingt harmloser...
Jetzt sitze ich gerade vor dem Entlassungsbrief und habe keine Ahnung, was ich da reinschreiben soll.
Fast drei Wochen war sie bei uns, und ich weiss noch immer nicht, was sie eigentlich hat. Das weiss sie selbst auch nicht: Seit Jahren, Jahrzehnten klagt sie über Bauchschmerzen, Blähungen und so weiter, außerdem Atemnot und Rückenschmerzen. Natürlich war sie schon bei tausend Ärzten und keiner hat ihr helfen können.
Vor drei Wochen hatte sie einen Zusammenbruch - nein, keinen Nervenzusammenbruch, sie ist so richtig dramatisch mit Notarzt eingeliefert worden, ist gestürzt und war angeblich fünf Minuten bewußtlos.
Wir haben diagnostisch nicht viel gefunden.
Eigentlich gar nichts.
Aber immer, wenn sie zur Entlassung anstand, war wieder etwas Neues: Mal Schwindel, Übelkeit, oder Erbrechen, mal erneute Bauchschmerzen, dann eine Erkältung, die natürlich keine Erkältung war sondern eine Lungenentzündung (nach ihrer Ansicht) und weil wir schließlich der Krankenkasse gegenüber ihren Aufenthalt irgendwie begründen müssen taucht die Lungenentzündung auch als solche in der Diagnoseliste auf. Der Radiologe hatte uns den Gefallen getan, das Röntgenbild entsprechend zu befunden.
Natürlich haben wir auch ein nervenärztliches Konsil veranlasst. Aber die Frau Gräfin ist ja nicht blöd und hat die Sache natürlich durchschaut.
Also hat der Psychiater sich weder getraut "Somatisierungsstörung" noch "Persönlichkeitsstörung" zu diagnostizieren.
Soll ich mich trauen, die Sachen beim Namen zu nennen?
Mit Sicherheit wird sie den Brief lesen!
Und dann gibt es lange Diskussionen...
Also reden wir lieber von "funktionellen" Magen-Darm-Beschwerden, das klingt harmloser...
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Dienstag, 14. April 2009
Von High Potentials und "B-Playern"
medizynicus, 11:56h
Vorhin auf dem Klo habe ich in einer alten Ausgabe des "Deutschen Ärzteblattes" geblättert.
Da gehts um Klinikmanagement und Personalentwicklung.
Natürlich sucht jeder Personalchef nach High Potentials. Wenn man einen Chefarzt sucht, dann bitte schön mindestens einen mit Professorentitel und "exzellentem Ruf". Und ein Oberarzt sollte mindestens schon einmal in Amerika gewesen sein. Und ein Assistenzarzt? Exzellente Examensnoten und Doktorarbeit mit Summa Cum Laude.
Aber was wollen solche High Potentials in Bad Dingenskirchen?
Der Herr Professor würde sich bald langweilen, wenn er hier in der Provinz nichts anderes als Blinddärme und Gallen operieren darf. Der Oberarzt müsste erst einmal den Dingenskirchener Dialekt lernen und der Summa-Cum-Laude-Assi würde vom ersten Tag an zusehen, dass er sich hier wieder weg bewirbt, an die Uniklinik Weissgottwohausen zum Beispiel.
Was für Leute bleiben also in Bad Dingenskirchen?
Schlicht und einfach diejenigen, denen es hier hin der Provinz gefällt! Und davon gibt es nicht wenige.
Dass sind die Chefs, die zwar keine Ambitionen haben, im "Lancet" zu publizieren, dafür aber auch bei der siebentausendsten Gallen-OP die Patientin noch gut beraten und engagiert behandeln.
Leute also, denen das etwas gemütlichere Leben in der Provinz gefällt.
Im Neudeutschen Management-Slang spricht man hier von "B-Playern".
Kann es sein, dass ich mich da ein wenig diskriminiert fühle?
Da gehts um Klinikmanagement und Personalentwicklung.
Natürlich sucht jeder Personalchef nach High Potentials. Wenn man einen Chefarzt sucht, dann bitte schön mindestens einen mit Professorentitel und "exzellentem Ruf". Und ein Oberarzt sollte mindestens schon einmal in Amerika gewesen sein. Und ein Assistenzarzt? Exzellente Examensnoten und Doktorarbeit mit Summa Cum Laude.
Aber was wollen solche High Potentials in Bad Dingenskirchen?
Der Herr Professor würde sich bald langweilen, wenn er hier in der Provinz nichts anderes als Blinddärme und Gallen operieren darf. Der Oberarzt müsste erst einmal den Dingenskirchener Dialekt lernen und der Summa-Cum-Laude-Assi würde vom ersten Tag an zusehen, dass er sich hier wieder weg bewirbt, an die Uniklinik Weissgottwohausen zum Beispiel.
Was für Leute bleiben also in Bad Dingenskirchen?
Schlicht und einfach diejenigen, denen es hier hin der Provinz gefällt! Und davon gibt es nicht wenige.
Dass sind die Chefs, die zwar keine Ambitionen haben, im "Lancet" zu publizieren, dafür aber auch bei der siebentausendsten Gallen-OP die Patientin noch gut beraten und engagiert behandeln.
Leute also, denen das etwas gemütlichere Leben in der Provinz gefällt.
Im Neudeutschen Management-Slang spricht man hier von "B-Playern".
Kann es sein, dass ich mich da ein wenig diskriminiert fühle?
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Sonntag, 12. April 2009
Es gibt noch echte Helden! (...und damit meine ich Hausärzte)
medizynicus, 23:36h
Vorhin kam Dr. Wilhelm zu uns in die Notaufnahme. Er hat einen Patienten gebracht. Verdacht auf akuten Myokardinfarkt. Troponin war erhöht, also hat der Patient wahrscheinlich wirklich was.
Dr. Wilhelm ist kein Notarzt.
Er ist ganz gewöhnlicher Hausarzt. Aber wenn einer seiner Patienten ihn am Ostersonntag abends um acht anruft, dann kommt er raus, und zwar sofort. Und wenn ein Patient ins Krankenhaus muss, dann begleitet er diesen selbst dorthin. Und er besucht ihn auch in den folgenden Tagen dort.
Natürlich hätte der Patient auch den Notarzt rufen können. Dann wäre er vielleicht zehn Minuten eher hier gewesen. Und natürlich gibt es in Bad Dingenskirchen auch einen kassenärztlichen Notdienst, aber Dr. Wilhelms Patienten brauchen den nicht in Anspruch zu nehmen, Dr. Wilhelm ist immer für sie da, rund um die Uhr, auch an Feiertagen.
Ich weiss nicht, ob Dr. Wilhelm in den letzten Jahren überhaupt jemals Urlaub gemacht hat. Wahrscheinlich nicht.
Sein Arbeitstag hat vierzehn Stunden, inklusive täglich bis zu fünfzehn Hausbesuche, die kaum mehr vergütet werden, aber "das bin ich meinen Patienten schuldig".
Dr. Wilhelm ist inzwischen über sechzig. Seit einem Jahr sucht er einen Nachfolger.
Er hat noch keinen gefunden.
Dr. Wilhelm ist kein Notarzt.
Er ist ganz gewöhnlicher Hausarzt. Aber wenn einer seiner Patienten ihn am Ostersonntag abends um acht anruft, dann kommt er raus, und zwar sofort. Und wenn ein Patient ins Krankenhaus muss, dann begleitet er diesen selbst dorthin. Und er besucht ihn auch in den folgenden Tagen dort.
Natürlich hätte der Patient auch den Notarzt rufen können. Dann wäre er vielleicht zehn Minuten eher hier gewesen. Und natürlich gibt es in Bad Dingenskirchen auch einen kassenärztlichen Notdienst, aber Dr. Wilhelms Patienten brauchen den nicht in Anspruch zu nehmen, Dr. Wilhelm ist immer für sie da, rund um die Uhr, auch an Feiertagen.
Ich weiss nicht, ob Dr. Wilhelm in den letzten Jahren überhaupt jemals Urlaub gemacht hat. Wahrscheinlich nicht.
Sein Arbeitstag hat vierzehn Stunden, inklusive täglich bis zu fünfzehn Hausbesuche, die kaum mehr vergütet werden, aber "das bin ich meinen Patienten schuldig".
Dr. Wilhelm ist inzwischen über sechzig. Seit einem Jahr sucht er einen Nachfolger.
Er hat noch keinen gefunden.
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