Freitag, 22. Mai 2009
Arztbriefe (Teil 2): Stilblüten
Da sitze ich also wieder einmal im Stadium der postprandialen Müdigkeit, es ist dreizehn Uhr zwanzig und das Wochenende noch so drei, vier Stunden entfernt und auf meinem Schreibtisch liegt wieder mal oder immer noch ein Stapel der zu diktierenden Akten. Seufzend nehme ich also das Diktiergerät und lege los:
Sehr geehrter Herr Kollege, hiermit berichten wir Ihnen über den Patienten xyz, welcher sich von ... bis.. in unserer stationären Behandlung befand...
Das sind Floskeln, die sind bei jedem Patienten gleich, sowas geht schnell.
...Diagnosen:...
Die stehen schließlich in der Akte. Kann man einfach ablesen.
...Anamnese:...
Hier fängts dann an kompliziert zu werden. Insbesondere dann, wenn der Patient von einem anderen Kollegen aufgenommen hat und dieser Kollege eine Handschrift hat, welche nicht besser ist als meine eigene. Noch Schlimmer ist es, wenn der Kollege oder ich selbst geschlampt haben und in dem Anamnesebogen gar nichts verwertbares geschrieben steht.
...Körperlicher Untersuchungsbefund:...
Also, ich mache es mir da immer einfach und schreibe einfach: "weitgehend altersentsprechend unauffälliger Befund". Das kann alles oder nichts heißen. Damit kommt man aber nicht immer durch. Es gibt Chefs und Oberärzte, die wollen es genau wissen. Da liest man dann so wunderbare medizinische Stilblüten wie:
...Cor und Pulmo auskultatorisch regelrecht. Hepa und Lien palpatorisch Größe und Konsistenz im Normbereich...
Grammatikalisch sind solche Fragmentsätze eine Katastrophe. Und inhaltlich auch. Man könnte auch sagen: Herz, Lunge, Leber und Niere sind unauffällig. Warum man die Begriffe für die entsprechenden Organe unbedingt auf Lateinisch angeben muß, hat mir bis heute noch niemand erklären können.
Ich schalte das Gerät wieder aus, unterdrücke ein Gähnen, stehe seufzend auf und schaue mal in der Stationsküche nach, ob es frischen Kaffee gibt.
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